Hage, Maris und Landse
HAZ-Bericht 16. April 2025 Text: Rainer Fricke Bild: Werner Kaiser
Perfekter Zeitpunkt für den Generationswechsel in Borsum nach 850 Spielen: Das Hildesheimer DTTB-Talent Maris Miethe tritt in große Fußstapfen – auch Patrick Landsvogt verlässt den TTS.
Absolute Stille am vergangenen Samstag in der sonst so lauten Borsumer Sporthalle: An Tisch zwei bereitet sich Marius Hagemann wie schon so oft auf den entscheidenden Ballwechsel vor, er führt 10:9 im fünften Satz gegen den Celler Jannik Xu. Was hätte Marius Hagemann in diesem Moment wohl dafür gegeben, den wahrscheinlich letzten Matchball seiner Tischtennis-Karriere zu verwandeln?
„Eine ganze Menge“, sagt Borsums Manager Olaf Sprung. Aber es sollte nicht sein. „Hage“, wie ihn die Borsumer Tischtennis-Fans seit zwanzig Jahren nur nennen, fehlte das nötige Quäntchen Glück im letzten Einzel seiner Karriere. Am Ende ging das Derby der 3. Tischtennis-Bundesliga gegen den MTV Celle mit 3:6 verloren. Das Ergebnis wurde aber schnell zur Randnotiz, denn es hieß Abschied nehmen an diesem Abend.
Es lag schon weit vor den ersten Ballwechseln eine gewisse Melancholie in der Borsumer Sporthalle. „Tischtennis ohne Marius Hagemann können wir uns hier beim TTS überhaupt nicht mehr vorstellen“, hatte Teammanager Olaf Sprung gehörigen Respekt auch vor den Emotionen dieses Spieltags.
Denn Sprung war es, der den Teenager vor zwanzig Jahren vom SC Bettmar an die Tischtennisplatten des TTS geholt hatte. Damals trainierte der 13-jährige „Stepke mit dem frechen Mundwerk“ im Internat des DTTB-Leistungszentrum Hannover. Die Liste seiner Erfolge im Kader der Schüler- und Jugendnationalmannschaft ist lang. 2006 war Hagemann Dritter der Deutschen Meisterschaften im Einzel, Zweiter im Doppel und bei der U15-Europameisterschaft in Sarajewo unter den besten Acht seines Jahrgangs. „Marius gehörte zu den Besten seines Jahrgangs in Deutschland“, erinnert sich Sprung.
Zweimal hatte der DTTB den Teenager damals zu Lehrgängen nach Peking geschickt, jeweils für vier Wochen. „Ein überragendes Erlebnis. Ich habe so viel gesehen und eine Menge gelernt“, erinnert sich Hagemann noch heute an die besonderen Eindrücke als Schüler.
Mittlerweile unterrichtet der 33-Jährige selbst an der Gesamtschule Bad Münder in den Fächern Sport und Politik. „Es nimmt immer mehr Zeit und Kraft in Anspruch, auf diesem Niveau weiter Tischtennis zu spielen“, gibt Hagemann zu. Er möchte zukünftig mehr Zeit mit Lebensgefährtin Kerstin und Hündin Lito im gemeinsamen Haus in Ronnenberg verbringen und hat sich deshalb schon im Dezember schweren Herzens für ein Karriereende entschieden.
Zurück zum gerade verlorenen Fünf-Satz-Match. Sekt oder Selters – genau diese Situationen waren es, die den gebürtigen Bettmarer all die Jahre an die Platte gefesselt haben. Für Hagemann beginnt ein Satz erst beim Stand von 9:9 interessant zu werden. Er genießt genau diesen Psycho-Thrill im Spiel Mann gegen Mann. „Hage ist ein unvergleichbarer Zocker“, charakterisiert auch Doppel-Partner Patrick Landsvogt seinen Teamkollegen, mit dem er in den vergangenen 13 Jahren für die „Blitzebrett“-Truppe in der Bundesliga unterwegs war. Zusammen haben sie Meisterschaften gefeiert und Abstiege ertragen.
Auch Landsvogt stand am vergangenen Samstag zum letzten Mal für den TTS Borsum an der Platte, er wechselt in die Oberliga zum SC Marklohe. Er praktiziert mittlerweile als Augenarzt in Nienburg, will wegen der Entfernung in der kommenden Saison kürzertreten. Hagemann und Landsvogt verbindet nicht nur im TTS-Team eine Menge. Zusammen holten sie während ihres Studiums an der Uni Göttingen 2019 die Deutsche Hochschulmeisterschaft für ihren Campus. Erfolge, die für ein ganzes Leben in Erinnerung bleiben.
„Marius beherrscht Schläge, die so in keinem Lehrbuch stehen“, sagt Mentor Olaf Sprung, der immer wieder ungläubig den Kopf schütteln musste. Vergangenen Samstag hatte sich Sprung auffällig weit abseits vom Geschehen und den Fans in eine stille Ecke der Halle verzogen. „Dieser Spieltag war schon verdammt emotional für mich“, gibt er im Nachhinein unumwunden zu.
Ganz dicht an der Platte saß dagegen ein anderer. Der 15-Jährige Maris Miethe beobachtete jeden einzelnen Ballwechsel. Der Teenager aus Hildesheim gilt in seiner Generation als eines der größten Tischtennis-Talente Deutschlands und wird ab der kommenden Saison Hagemanns Nachfolger im Borsumer Bundesliga-Team.
Verblüffend, wie sich ihre Sportkarrieren gleichen. Maris, wie damals Marius ebenfalls im hannoverschen Sportinternat, ist bereits genauso hoch dekoriert wie sein Vorgänger im gleichen Alter.
Aktuell ist der Mittelstufenschüler als amtierender Landesmeister der U19 in der deutschen Rangliste die Nummer zwei des Jahrgangs 2009. Er hatte in der vergangenen Saison entscheidenden Anteil am Regionalliga-Klassenerhalt des MTV Bledeln. International startete Maris schon sechs Mal im DTTB-Nationalteam.
Oldie Hagemann und Youngster Miethe kennen sich schon lange. Vor knapp vier Jahren spielten sie sogar einmal in einem Punktspiel gegeneinander – damals noch eine klare Angelegenheit für den Routinier. In der vergangenen Woche haben sie noch einmal gemeinsam trainiert.
Fast schon vorhersehbar ging es im Trainingsmatch in den entscheidenden fünften Satz. „Den hat Marius dann doch noch klar gewonnen“, gab der Newcomer anerkennend zu. Aber für „Hage“ war danach klar, dass genau der richtige Zeitpunkt gekommen ist, sein Tischtennis-Trikot an die nächste Generation weiter zu geben.